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21.10.2016

Meldung, Steuerrecht

„Der Steuergesetzgeber steht vor großen Herausforderungen“

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„Dieses Hin und Her in der Steuergesetzgebung ist hoch problematisch“, findet Prof. Dr. Ulrich Prinz und hat dabei nicht nur § 50i EStG im Blick.

Das Steuerrecht soll gerecht, effizient und strukturiert sein. Steuervereinfachung ist der Begriff unserer Zeit. Doch das real existierende Steuerrecht ist zerklüftet und wird immer unübersichtlicher. Über den Zustand des deutschen Steuerrechts, inhaltliche Schwächen der Steuergesetzgebung und was eine „gute Steuergesetzgebung“ ausmacht, spricht WP/StB Prof. Dr. Ulrich Prinz, Partner Of Counsel für die WTS Steuerberatungsgesellschaft, im nachfolgenden Interview.

DB: Was ist derzeit die größte Herausforderung für die Steuergesetzgebung?

Prof. Dr. Ulrich Prinz: Nach meinem Eindruck ist dies die gesetzgeberische Umsetzung des BEPS-Projektes der OECD in Europa und in der Bundesrepublik Deutschland. Entscheidend ist ein weltweit koordiniertes und harmonisiertes Vorgehen, etwa im Bereich der Abwehrgesetzgebung zu hybriden Gestaltungen. Deutschland sollte dabei nicht zum Schaden der eigenen Wirtschaft „vorpreschen“ mit unabgestimmten Maßnahmen.

DB: Welche fallen Ihnen da zum Beispiel ein?

Prof. Dr. Ulrich Prinz: Ein Beispiel für eine solche „Fehlmaßnahme“ ist die vom Bundesrat im Rahmen des 1. BEPS-Umsetzungsgesetzes vorgeschlagene Einführung eines § 4i EStG zur Einschränkung des Sonderbetriebsausgabenabzugs bei Vorgängen mit Auslandsbezug. Hier sollten – worauf auch die Bundesregierung hinweist – zunächst einmal die europaweiten Überlegungen zu hybriden Gestaltungen abgewartet werden. Im Übrigen: Eindämmung des unfairen Steuerwettbewerbs durch den Gesetzgeber ist das Eine. Eine faire Behandlung der international agierenden deutschen Unternehmen mit den Gefahren durch nur schwer vermeidbare Doppelbesteuerungen sollte dabei gerade der deutsche Gesetzgeber nicht vergessen; dies ist die „andere Seite der Medaille“.

DB: Das heißt, das Unionsrecht bringt noch mehr Chaos in die deutsche Steuergesetzgebung …

Das Unionsrecht mit seinen Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten ist als zusätzliche Rahmenbedingung für den nationalen Steuergesetzgeber zwingend zu beachten. Leider neigt die deutsche Steuergesetzgebung aber viel zu sehr dazu, nur unionsrechtlich „unvermeidbare“ punktuelle Umsetzungen von EuGH-Urteilen vorzunehmen und dies häufig zu Lasten der inländischen Wirtschaft. Ein Beispiel dafür ist die „alte Gesellschafterfremdfinanzierungsregelung“ des § 8a KStG, die 1993 nur für Steuerausländer eingeführt wurde, dann aufgrund eines EuGH-Urteils auch Steuerinländer erfasste und dann schließlich wegen zahlreicher Verwerfungen ab 2008 durch die Zinsschranke abgelöst wurde. Nun wird es kurios: denn diese Norm steht derzeit auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand aufgrund einer Vorlage durch den I. Senat des BFH; trotz dieser Verfassungsproblematik soll sie nun über eine EU-Richtlinie „verfassungsrechtlich immunisiert“ reimportiert werden. Dies ist sicher hoch problematisch. Die Diskussion eines solchermaßen instrumentalisierten Europarechts steht erst am Anfang. Ein weiteres kommt hinzu: auch das europarechtliche Beihilfeverbot mit seinen insgesamt doch sehr unscharfen Tatbestands-voraussetzungen sollte nicht für missliebige punktuelle Missbrauchsabwehr instrumentalisiert werden. Nach meiner Einschätzung sollten die Europäischen Institutionen insoweit zurückhaltend sein. Hier ist auch der deutsche Gesetzgeber mit seinem Einfluss auf Europa gefordert.

DB: Gibt es derzeit noch mehr solcher Systemverwerfungen?

Ja, es gibt sicherlich etliche Kernnormen im deutschen Unternehmensteuerrecht, die – bildlich gesprochen – „auf dem Kopf“ stehen. Denken Sie an die zahlreichen unsäglichen Verlustabzugs-verbote, insbesondere § 8c KStG und die derzeit diskutierte Einführung eines neuen „fortführungsgebundenen Verlustvortrags“ gem. § 8d KStG. Seit 1988 befassen wir uns in der Praxis sehr intensiv, gerade in Sanierungsfällen und wirtschaftlichen Krisensituationen, mit den diversen Fassungen der Mantelkaufvorschriften. Die Regel sollte dabei eigentlich sein: Verlustnutzung – möglicherweise in einem zeitlich vertretbaren Umfang gestreckt – ist der Normalfall; Versagung des Verlustabzugs in Missbrauchssituationen die Ausnahme. Unser § 8c KStG ist aber genau umgekehrt aufgebaut. Dies verursacht zahlreiche – eigentlich unnötige – Anwendungsprobleme und hat letztlich zur europarechtlichen Aussetzung der Sanierungsklausel geführt. Auch bei der Diskussion um den neuen § 8d KStG sollte man das Europarecht nicht aus dem Blick verlieren.

DB: Wie sollte Ihrer Ansicht nach ein kluger Steuergesetzgeber jetzt agieren?

Prof. Dr. Ulrich Prinz: Frau Dr. v. Wolfersdorff vom IFST und ich haben versucht, dies in unserem aktuellen Beitrag zu verdeutlichen. Systematische Wertungswidersprüche und punktuelle Missbrauchsabwehr, die häufig überschießend wirkt, sollte ein kluger Steuergesetzgeber unbedingt vermeiden. Denken Sie an die Geschichte des §  50i EStG: diese Norm soll mittlerweile zum dritten Mal vom Gesetzgeber– stets mit Rückwirkung – umgestaltet werden. Der erst im Jahre 2014 – also in der zweiten Fassung des § 50i EStG – eingeführte Absatz 2 verhindert steuerneutrale Umstrukturierungen in einer Vielzahl von Anwendungsfällen. Dies ist in weiten Teilen völlig überbordend, weil gar kein deutsches Besteuerungssubstrat verloren zu gehen droht. Die Finanzverwaltung hat dies dann vor kurzem durch einen auf Billigkeitsüberlegungen gestützten Erlass „zurückgeschnitten“. Der Weisheit letzter Schluss ist dies steuerrechtlich aber sicherlich nicht. Im Moment diskutiert der Gesetzgeber daher auf Anraten des Bundesrates im 1. BEPS-Umsetzungsgesetz eine neue und im Ergebnis sicherlich sehr wünschenswerte erneute Reparatur des § 50i EStG. Dieses „Hin und Her“ in der Steuergesetzgebung ist hoch problematisch.

DB: Herr Prof. Prinz, vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro

 Mehr zum Thema:

Zur „Steuergesetzgebungskunst“ unserer Zeit – Handlungsoptionen eines „klugen Gesetzgebers“, Standpunkte von WP/StB Prof. Dr. Ulrich Prinz und StBin Dr. Janine v. Wolfersdorff in DER BETRIEB Nr. 42 vom 21.10.2016, Dokumentennummer DB1217961


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