Der Physiotherapeut P mit eigener privater Praxis in Heidelberg war von Mai 2017 bis Mitte 2019 zusätzlich in einer physiotherapeutischen Gemeinschaftspraxis in Mannheim tätig. Mit deren Inhaber hatte er einen Vertrag als „freier Mitarbeiter“ geschlossen. Die durchgeführten Behandlungen wurden über das Abrechnungssystem der Praxisinhaber abgerechnet, die 30 % des jeweiligen Abrechnungsbetrages erhielten. In der Gemeinschaftspraxis waren neben den beiden Inhabern und P weitere vier bzw. fünf Physiotherapeuten als sog. freie Mitarbeiter tätig. Bei der Verteilung der Patienten überprüften die Praxisinhaber, ob sie die Behandlung je nach Kapazität persönlich übernehmen konnten. War dies nicht der Fall, wurden die Behandlungen den entsprechenden „freien Mitarbeitern“, abhängig von deren freier Zeitkapazität, angeboten.
Streit um Sozialversicherungspflicht
Die Deutsche Rentenversicherung stellte auf Antrag des P im November 2017 fest, dass dieser abhängig beschäftigt und sozialversicherungspflichtig sei. Hiergegen klagten sowohl die Praxisinhaber als auch P vor dem Sozialgericht Mannheim. Sie führten an, dass P nicht weisungsgebunden gewesen sei und seine Arbeitszeiten selbst habe bestimmen können. Mit Urteil vom 28.11.2019 stellte das Sozialgericht Mannheim antragsgemäß fest, dass P in seiner Tätigkeit als Physiotherapeut bei der Gemeinschaftspraxis nicht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung tätig geworden sei. Die für eine selbstständige Tätigkeit sprechenden Merkmale überwögen.
Rentenversicherung siegt gegen Physiotherapiepraxis
Das LSG Baden-Württemberg gab mit Urteil vom 16.07.2021 (L 4 BA 75/20) der Rentenversicherung Recht. Zwar können auch Physiotherapeuten ihre Leistungen im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit erbringen. Maßgeblich sind die konkrete Ausgestaltung und die Eingliederung in die Organisationsstruktur und Arbeitsabläufe der Praxis. So hat P im Rahmen seiner Tätigkeit nur solche Patienten behandelt, deren Behandlung ihm der Inhaber der Gemeinschaftspraxis antrug. Zudem nutzte er die in der Praxis vorgehaltene Ausstattung und verfügte nicht über eigene Behandlungsräume. Er trat auch nicht werbend nach außen auf.
Kein Unternehmerrisiko, keine Selbstständigkeit
Darüber hinaus sei die Abrechnung der von P durchgeführten Behandlungen durch die Inhaber der Gemeinschaftspraxis über das von ihr vorgehaltene Abrechnungssystem erfolgt. P habe auch kein nennenswertes Unternehmerrisiko getragen. So habe P kein eigenes Kapital eingesetzt und seine Tätigkeit erforderte keine Betriebsmittel. Das Risiko, nicht wie gewünscht arbeiten zu können, weil Behandlungsmöglichkeiten anderweitig vergeben wurden, stelle kein Unternehmerrisiko dar, sondern eines, das auch jeden Arbeitnehmer treffe, der auf Abruf arbeite und nach Stunden bezahlt werde.