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29.08.2019

Interview

Umsatzsteuerkarussell: So schützen Sie Ihr Unternehmen

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Der Betrieb

Jährlich prellen kriminelle Banden die EU-Länder um mehrere Milliarden Euro. Sie lassen sich durch Umsatzsteuerkarusselle Vorsteuern erstatten, die nie bezahlt wurden. Gefährlich an der Sache: An der Betrugsmasche unbeteiligte Unternehmen können unversehens Teil eines solchen Karussells werden. Sobald dieses auffliegt, geraten Sie in Bedrängnis. Wie sich Unternehmen schützen können, erklärt Dr. Björn Demuth, Partner bei CMS, zuständig für Steuern, Steuerstrafrecht und Compliance.

DB: Herr Dr. Demuth, woran erkennt man überhaupt ein Umsatzsteuerkarussell?

Demuth: „Um ein Umsatzsteuerkarussell erst einmal zu identifizieren hilft die Kenntnis, wie ein Umsatzsteuerkarussell abläuft: Ein EU-Unternehmen erwirbt von einem anderen Unternehmen eines anderen EU-Landes als sogenannter innergemeinschaftlicher Erwerber Ware zum Nettopreis. Der Lieferer schuldet keine Umsatzsteuer. Diese muss nämlich der Erwerber in seinem Land dem Finanzamt erklären (innergemeinschaftlicher Erwerb), aber hierauf zunächst keine Steuer abführen, denn der Erwerber kann die gemeldete Erwerbsumsatzsteuer gleich wieder als Vorsteuer in Abzug bringen. Dies gewährleistet die vom Europäischen Gerichtshof propagierte Neutralität des Umsatzsteuerrechts auf Ebene der Unternehmen. Es entsteht also zunächst keine Zahllast.

Verkauft der Erwerber die erlangte Ware weiter, löst er Umsatzsteuer aus, die er abführen müsste. Das tut er aber nicht, sondern behält die Umsatzsteuer für sich als ‚Gewinn‘. Zur Absicherung verschwindet er meistens sechs Monate nach seiner Gründung wieder vom Markt. Er wird deshalb als Lost Trader oder Missing Trader bezeichnet. Oft ist es nur eine Briefkastenfirma. An Stelle des ausscheidenden Missing Traders tritt jeweils ein neuer Erwerber, der ebenso verfährt. Geschäftsführer sind manchmal sogar die gleichen Personen. Gesellschafter lassen sich auch nicht klar identifizieren. Um das Agieren unauffällig zu machen, werden als Anschlusskäufer gerne namenhafte Unternehmen gesucht.“

DB: Und hier beginnt dann die Gefahr für namhafte Unternehmen…

Demuth: „Genau. Es wird deutlich, dass die Initiatoren grundsätzlich kürzlich gegründete Unternehmen einsetzen. Zum Anreiz für legal agierende Unternehmen werden Dumpingpreise unterbreitet. Für die Zahlungen werden bevorzug Konten in Steueroasen oder im EU-Ausland genutzt. Die Namen der Vertragspartner sind zumeist auch kreativ. Bevorzugte Waren sind kleine, leichte Produkte mit geringen Transportkosten, aber hohem Wert und hohen Verkaufsvolumina. Das ermöglicht in kurzer Zeit hohe Gewinne aus der nicht abgeführten Umsatzsteuer zu erzielen. Prädestiniert waren bisher beispielsweise wertvolle Elektronikbauteile, Mobiltelefone, CO²- oder Ökostrom-Zertifikate aber auch teure Lebensmittel wie Kaffee oder RedBull.

Subtiler läuft ein Umsatzsteuerbetrug ab. Hier werde schlicht Scheinrechnungen von einer Strohfirma (Missing Trader) an vermeintliche Kunden gestellt. Eine Lieferung oder Leistung gibt es nicht oder nur in kleinem Rahmen, damit der Vorgang nicht sofort auffällt.“

DB: Gibt es eine besondere Risikogruppe von Firmen, die gerne in Umsatzsteuerkarusselle gelockt werden?

Demuth: „Bevorzugt werden seriöse, am Markt bekannte Firmen in die Lieferkette eingeschaltet, um das Handeln mit dem Schein der Seriosität zu ummanteln. Das sind meist mittelgroße aber auch kleinere, selten ganz große Unternehmen, denen die Chance auf schnelles Wachstum offeriert wird. Zumeist gibt es weder ein nennenswertes Compliance-System noch eine Rechtsabteilung. Alles wird immer hübsch plausibel erläutert, zumindest, wenn nicht kritisch und ohne entsprechende Erfahrung hinterfragt wird.“

DB: Wie können sich Unternehmen davor schützen, in ein solches Karussell zu geraten?

Demuth: „Einkäufer ebenso wie die Geschäftsführer sollten neue Geschäftspartner vor Aufnahme der Geschäftsaktivitäten unbedingt genau durchleuchten. Da sich die Machenschaften der Täter immer etwas ändern, sollte alles, was ungewöhnlich in der Branche ist, besonders kritisch hinterfragt werden. Dabei spielt die Historie des Vertragspartners eine zentrale Rolle, aber ebenso die Konditionen eines Geschäfts. Sind diese besonders günstig, ist das ein Alarmsignal. Vermeintliche Schnäppchen werden gerne durch einen Steuerbetrug finanziert. Besonders skeptisch sollte man werden, wenn der Verkäufer bereits potentielle Folge-Käufer und Speditionen benennt. Auch Zahlungen über Plattformen oder in Steueroasen sollten tunlichst vermieden werden.

In Verdachtsfällen sollte immer ein qualifizierter Berater hinzugezogen werden. Das erspart viel Ärger! Wenn trotz kritischer Anzeichen das Geschäft versucht werden sollte, ist anzuraten, das Volumen zunächst klein zu halten und sehr sorgfältig über einige Monate zu überprüfen. Oft wird dieselbe Ware immer wieder im Kreis gedreht und überhaupt nicht ausgepackt. Das könnte man etwa bei Mobiltelefonen an der EMEI-Nummer erkennen oder wenn man die angelieferten Paletten vor der Weiterversendung besonders – aber unauffällig – markiert und bei späteren Neuanlieferungen die Ware auf solche Markierungen untersucht. Auch der Einsatz seriöser und vertrauter Speditionen insbesondere für Warenanlieferungen macht Sinn. Es ist verdächtig, wenn eine unbekannte Spedition unbedingt die Warenanlieferung tätigen soll.“

DB: Der Gesetzgeber hat inzwischen Güter, die besonders gerne für Karussellgeschäfte verwendet werden, in das sogenannte Reverse Charge Verfahren aufgenommen. Genügt dieser Schutz des Gesetzgebers nicht?

Demuth: „Dieser Weg hat sich in der Vergangenheit zumeist als Verhinderung erwiesen, zumindest für viele Konstellationen. Allerdings ist es möglich, das Geschäftsmodell auch abzuwandeln, so dass keine 100%ige Vermeidung auf diesem Wege erreicht werden kann. Deshalb denkt die Europäische Union ja auch über eine komplette Änderung des Umsatzsteuersystems nach.“

DB: Wie könnte eine Compliance-seitige Vorsorge in Unternehmen gegen Umsatzsteuerkarusselle aussehen?

Demuth: „Prinzipiell kann jedes Unternehmen als Buffer bzw. Dämpfer, um ein Umsatzsteuerkarussell zu verschleiern, in ein solches einbezogen werden. Damit liegt ein typisches Compliance-Risiko vor. Als Folge der Einbindung in ein Umsatzsteuerkarussell wird das Finanzamt den Vorsteuerabzug versagen und das Unternehmen sowie die Geschäftsleitung in Haftung nehmen. Voraussichtlich wird sogar ein strafrechtliches Verfahren eingeleitet, was bei der Aufdeckung hilft. Im Extremfall kann die Existenz des Unternehmens auf dem Spiel stehen. Aber natürlich kann der Fiskus nicht beliebig Unternehmen in Regress nehmen. Also wird nach einem Hebel gesucht und der ist schnell gefunden: Wenn ein Unternehmen den Betrug hätte erkennen und vermeiden können, haftet es für die Steuer. Dies hat der Europäische Gerichtshof bestätigt. Die Haftung gilt auch, wenn Vertreter agieren. Alle in ein Umsatzsteuerkarussell involvierte Unternehmer, insbesondere die vor und nach dem Lost Trader, können sich nur selten vom Vorwurf des eigenen Verschuldens entlasten. Zumeist wurden nicht die gebotenen Vorsichtsmaßnahmen und Prüfungen durchgeführt. Deshalb lohnt sich die Einführung eines professionellen ‚Know Your Customer‘-Kontrollsystems. Dies wird im Bereich der Geldwäsche schon lange verwendet. Nur so kann das Risiko minimiert werden, Geschäfte mit Betrügern zu machen.

Selbst wenn dann ein Betrüger vorgeschaltet war, belässt die Rechtsprechung des EuGH dem Buffer den Vorsteuerabzug, weil er bei Nachweis intensiver und professioneller Prüfungen als gutgläubig gilt. Das setzt voraus, dass er alle vernünftigerweise zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um seine Beteiligung an einem Betrug auszuschließen. Dafür genügt es nicht bloß die Steuernummer, Adresse, Pässe und Frachtpapiere zu überprüfen und zu dokumentieren. Selbst die Abklärung und Bescheinigung des Steuerberaters des Missing Traders, dass alle monatlichen Umsatzsteuererklärung des Lieferanten oder Käufers abgegeben wurden genügt nicht, da dies die Zahlung nicht belegt. Vielmehr müsste der Zahlungsnachweis erbracht werden, was kaum kontrollierbar ist und es muss etwa auch sichergestellt werden, dass der Rechnungsaussteller tatsächlich der aus den Umständen erkennbare Leistungserbringer ist. Die Finanzbehörden unterstützen diese Prüfungen jedoch nicht. Die Unternehmen sind hier vielmehr auf sich selbst gestellt. Nur sorgfältige Prüfungen und Nachweise sowie ein sechster Sinn, der vor Auffälligkeiten warnt, können zur Abwehrstrategie dienen.“

DB: Ihr Rat: Was sollte ein Unternehmen tun, das in ein Umsatzsteuerkarussell geraten ist? Gibt es eine universelle Handlungsanweisung zur Schadenbegrenzung?

Demuth: „Das Leben und die Geschäftsabläufe in der Realität sind zu vielfältig, um mit einem Patentrezept reagieren zu können. Sobald Risiken erkannt werden, sollte unbedingt ein erfahrender rechtlicher Berater hinzukommen. Gleichzeitig sollten die Geschäfte mit dem kritischen Vertragspartner umgehend beendet werden. Zur Begründung der Geschäftsbeendigung sollte möglichst nichts oder etwas völlig anderes vorgeschoben werden. Ob, und wenn wie, die Behörden informiert werden sollten, ist im Einzelfall zu entscheiden. Ggf. sind Steueranmeldungen und -erklärungen zu korrigieren.“

Vielen Dank für das spannende Interview!

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.


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