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04.04.2018

Interview

Rentnerbeschäftigung – neue (alte) Chance für Unternehmen?

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Der Betrieb

Der demografische Wandel hat einen nie dagewesenen Einfluss auf den Arbeitsmarkt. Die Zahl der Rentner, die in den kommenden Jahren weiter beschäftigt werden, wird erheblich steigen. Eine deutsche Regelung, welche die befristete Fortbeschäftigung von Arbeitnehmern über die Altersgrenze hinaus erleichtert, stand beim EuGH jüngst auf dem Prüfstand. Was es bei der Fortbeschäftigung von Arbeitnehmern auf Grundlage des § 41 Satz 3 SGB VI zu beachten gilt und warum der EuGH in seinem Urteil vom 28.02.2018 (C-46/17) diese Norm als europarechtskonform ansieht, erklärt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Carsten Brachmann, Partner in der Kanzlei Ogletree Deakins Berlin.

DB: Herr Brachmann, verstößt die unbegrenzte Möglichkeit zur befristeten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus nach § 41 S. 3 SGB VI gegen Europarecht? Was hat der EuGH entschieden?

Brachmann: „Der EuGH hat in der umstrittenen Frage der Europarechtskonformität dieser Regelung nun für Klarheit gesorgt und die Vereinbarkeit des § 41 S. 3 SGB VI mit Unionsrecht bestätigt. Nach dem EuGH liegt weder ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Altersdiskriminierungsverbot noch gegen die unionsrechtliche Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vor, welche auch die Missbrauchsvermeidung durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge bezweckt.“

DB: Worum ging es in dem konkreten Fall und welche Bedeutung spielte dabei § 41 S. 3 SGB VI?

Brachmann: „Konkret ging es um einen bei der Stadt Bremen angestellten Lehrer, dessen Arbeitsverhältnis ursprünglich nach dem für ihn geltenden Tarifvertrag mit Ablauf des Schulhalbjahres endet, in dem er das gesetzliche Alter zum Erreichen der Regelaltersrente vollendet. Noch vor Erreichen dieser Altersgrenze wurde auf seinen Antrag die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus bis zum 31.07.2015 vereinbart. Diese Vereinbarung basierte auf § 41 S. 3 SGB VI, welcher an die häufig anzutreffenden Regelungen anknüpft, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze vorsehen. Diesen Beendigungszeitpunkt können die Arbeitsvertragsparteien nach § 41 S. 3 SGB VI durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses – gegebenenfalls auch mehrfach – hinausschieben. Im Jahr 2015 beantragte der Lehrer dann eine weitere Verlängerung seines Arbeitsverhältnisses bis zum 31.01.2016, welche vom Arbeitgeber jedoch abgelehnt wurde.“

DB: Wieso ist die Begründung des EuGH so interessant?

Brachmann: „Interessant ist neben den wesentlichen Ausführungen zu den anzuerkennenden sozialpolitischen Zielen des deutschen Gesetzgebers die zutreffende Ausgangserwägung des EuGH, dass § 41 S. 3 SGB VI eine Ausnahme vom Grundsatz der automatischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Regelaltersgrenze darstellt. Ein Arbeitnehmer, der die Regelaltersgrenze erreicht, könne im Unterschied zu einem jüngeren Kollegen wählen, ob er mit seinem Arbeitgeber eine Fortbeschäftigung über die Altersgrenze hinaus vereinbart oder ob er aus dem Berufsleben ausscheidet. Nach Ansicht des EuGH sei die Norm auch nicht geeignet, den Abschluss aufeinanderfolgender Arbeitsverträge zu fördern und stelle keine Missbrauchsquelle dar. Hierzu führte das Gericht u.a. aus, dass ein Arbeitnehmer, der die Regelaltersgrenze erreicht, im Unterschied zu anderen Arbeitnehmern sozial abgesichert und am Ende seines Berufslebens sei. Er stehe damit bezüglich einer Befristung seines Vertrages nicht mehr vor der Alternative, noch einen unbefristeten Vertrag zu erhalten. Interessant für die Vertragspraxis ist vor allem auch, dass nach dem EuGH eine Vereinbarung i.S.d. § 41 S. 3 SGB VI u.a. voraussetze, dass in dieser die übrigen Vertragsbedingungen in keiner Weise geändert werden.“

DB: Inwieweit wird sich das Urteil auf die deutsche Arbeitsrechtspraxis bei der Fortbeschäftigung von Arbeitnehmern über die Altersgrenze hinaus auswirken?

Brachmann: „Es steht zu erwarten, dass die Praxis von der Möglichkeit des § 41 S. 3 SGB VI zunehmend Gebrauch machen wird, da Unternehmen nun sicherer und planbarer eine befristete Fortbeschäftigung über die Altersgrenze hinaus vereinbaren können. Generell dürfte ohnehin das Interesse von Arbeitgebern an einer Fortbeschäftigung von erfahrenen Arbeitnehmern über ihre Regelaltersgrenze hinaus mangels immer weniger qualifizierter Nachwuchskräfte ansteigen. Auch die betroffenen Mitarbeiter sind oft aus persönlichen, häufig aber aus finanziellen Gründen an einer befristeten Fortbeschäftigung interessiert.“

DB: Welche konkreten – nach dem Urteil womöglich aktualisierten – Gestaltungstipps geben Sie Unternehmen? Gibt es arbeitsrechtliche Fallen bei der Fortbeschäftigung über die Altersgrenze auf Grundlage des § 41 S. 3 SGB VI?

Brachmann: „In der Tat sind zur Vermeidung eines unbefristeten Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses bei einer Hinausschiebensabrede i.S.d. § 41 S. 3 SGB VI einige Punkte zu beachten. Gelegentlich wird zunächst übersehen, dass § 41 S. 3 SGB VI nur dann greift, wenn das Arbeitsverhältnis an sich aufgrund einer wirksamen kollektiv- oder individualrechtlichen Vereinbarung mit Erreichen der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung enden würde. Wichtig ist weiter, dass das Hinausschieben dieses bereits vereinbarten Beendigungszeitpunkts von den Arbeitsvertragsparteien mit Blick auf § 14 Abs. 4 TzBfG schriftlich und noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses vereinbart wird. So ist z.B. die erstmalige Hinausschiebensabrede zwingend vor Erreichen der Altersgrenze abzuschließen. Zudem ist das Arbeitsverhältnis stets ohne Unterbrechung nahtlos fortzusetzen.

Ferner gilt zu beachten, dass – ähnlich wie bei der Verlängerung sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge – auch nach Ansicht des EuGH in der Hinausschiebensabrede keine anderen Vertragsbedingungen – egal ob zu Gunsten oder zu Ungunsten des Arbeitnehmers – geändert werden dürfen. Es gilt daher auch hier das Sprichwort: „Weniger ist mehr“, so dass sich der Inhalt der Vereinbarung auf das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts reduzieren sollte. Sämtliche Änderungen von Arbeitsbedingungen – auch die oft beidseits angestrebte Umstellung auf Teilzeit – sollten daher nicht direkt in der Hinausschiebensabrede, sondern in einer angemessenen Zeit vor oder nach deren Abschluss in einem gesonderten Vertrag vorgenommen werden. Ein Zeitraum von einem Monat zwischen beiden Verträgen dürfte in der Regel ausreichend sein.

Darüber hinaus ist, ungeachtet, dass nach dem EuGH keine unionsrechtlichen Bedenken gegen die durch § 41 S. 3 SGB VI eröffnete Möglichkeit des mehrfachen, voraussetzungslosen und zeitlich unbegrenzten Verschiebens des Beendigungszeitpunktes bestehen, bei den möglichen mehrfachen Hinausschiebensabreden darauf zu achten, dass weiterhin im deutschen Recht die Rechtsmissbrauchskontrolle nach § 242 BGB gilt. Hierbei kommt es – wie so oft – auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere Anzahl und Dauer der Abreden, an. Unternehmen sollten daher im Blick haben, dass grundsätzlich bei einer Aneinanderkettung von vielen nur kurz, etwa jeweils nur für eine Woche oder einen Monat, dauernden Hinausschiebensabreden die Missbrauchsgefahr steigt. Schließlich empfiehlt es sich, rechtzeitig vor Abschluss einer Abrede den Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen, da das Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts nach richtiger Ansicht betriebsverfassungsrechtlich eine Einstellung darstellt.“

DB: Vielen Dank für das Interview, Herr Brachmann!

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.

 


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