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19.02.2021

Interview

Neues Betriebsrätestärkungsgesetz: „Ein grundlegender Bedarf für eine umfassende Reform besteht nicht“

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Der Betrieb

Der aktuelle Referentenentwurf für ein Betriebsrätestärkungsgesetz enthält umstrittene Regelungen. Die „Ausgestaltung mobiler Arbeit“ bleibt unklar, der erweiterte Kündigungsschutz geht recht weit und die Einführung eines KI-Sachverständigen bedeutet einen unberechenbaren Mehraufwand für Unternehmen. Was von alledem zu halten ist, erklärt Rechtsanwalt Sven Lombard von Simmons & Simmons.

DB: Das Bundesarbeitsministerium reagiert mit dem geplanten Betriebsrätestärkungsgesetz darauf, dass der unter dem Titel eines „Arbeit-von-morgen-Gesetzes“ vorgeschlagenen Anspruch aufs Homeoffice gescheitert ist. Was sieht der neue Referentenentwurf vor?

Lombard: „Mit dem neuen Gesetzesentwurf greift der Bundesarbeitsminister sein gescheitertes Vorhaben zum Anspruch auf Homeoffice auf. Er will den Mitbestimmungskatalog des § 87 Abs. 1 BetrVG erweitern und ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Ausgestaltung von mobiler Arbeit einführen. Darüber hinaus soll mit dem Gesetzesvorhaben die Gründung von Betriebsräten vereinfacht werden, indem den Initiatoren von Betriebsratswahlen ein besonderer Kündigungsschutz zukommen und die Wahl von Betriebsräten erleichtert werden soll. Dem technischen Fortschritt soll dadurch Rechnung getragen werden, indem die Beschlussfassung mittels Video- und Telefonkonferenz dauerhaft ermöglicht und rechtliche Hürden bei der Inanspruchnahme von Sachverständigen zu Fragen der künstlichen Intelligenz abgesenkt werden.“

DB: Das sind einige Ziele … gibt es denn so viele Lücken in den etablierten Gesetzen?

Lombard: „Ein grundlegender Bedarf für eine umfassende Reform des Betriebsverfassungsgesetzes besteht nicht. Allerdings muss das Betriebsverfassungsgesetz Fragen aus der sich schnell verändernde Arbeitswelt aufgreifen und die Mitbestimmung darf nicht durch technischen Fortschritt umgangen werden. Insoweit gilt es den Puls der Zeit in das Betriebsverfassungsrecht zu übertragen.

Die Zahl der Betriebe, in denen Betriebsräte bestehen, nimmt in den letzten Jahren ab. Grundsätzlich ist die Existenz eines Betriebsrats auch für den Arbeitgeber mitunter durchaus auch vorteilhaft. So ist häufig eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit zu verzeichnen und die gesteigerte Zufriedenheit führt häufig zu einer geringeren Fluktuation der Beschäftigten. Gleichwohl ist es fraglich, ob tatsächlich die seitens der SPD behaupteten Lücken bestehen.

Bei den Vorbereitungshandlungen zur Gründung eines Betriebsrats mag man einen Regelungsbedarf bejahen. Bisher gilt der Kündigungsschutz erst ab dem Zeitpunkt, in welchem der Arbeitnehmer zur Betriebs- oder Wahlversammlung einlädt. Die Initiatoren dieser Wahl und die Wahlvorstandskandidaten genießen bis zu ihrer Wahl keinen gesonderten Kündigungsschutz.

Im Hinblick auf das Pandemiegeschehen 2020 hat der Gesetzgeber eine Lücke bereits identifiziert und durch eine vorübergehende Regelung ersetzt. Vor dem neuen § 129 BetrVG durften Betriebsratssitzungen nur als Präsenzsitzungen, also in körperlicher Anwesenheit aller Betriebsratsmitglieder in einem geschlossenen Raum, stattfinden. Mit dem § 129 BetrVG hat der Gesetzgeber eine befristete Sonderregelung bis 30.06.2021 geschaffen, um den Schwierigkeiten von Präsenzsitzungen Rechnung zu tragen.

Auch die Mitbestimmung des Betriebsrats zum Homeoffice ist bisher lückenhaft. Schon jetzt bestehen bei der Einführung jedweder Art von Telearbeit Mitbestimmungsrechte (nach § 87 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, Nr. 6 und Nr. 7 BetrVG). Zudem stellt jede nachträgliche Zuweisung des Arbeitsorts „Homeoffice“ eine Versetzung dar, die der Mitbestimmung (nach § 99 Abs. 1 BetrVG) unterliegt, sofern sie länger als einen Monat andauern soll. Gleiches gilt für mobile Arbeit. Mit dem neuen Mitbestimmungstatbestand würden dem Betriebsrat weitreichende Rechte eingeräumt, deren Sinnhaftigkeit durchaus in Zweifel zu ziehen ist, wenn der Arbeitgeber schnell und flexibel reagieren möchte.“

DB: Der Entwurf sieht ja – wie Sie bereits erwähnten – vor, dass Arbeitnehmer, die einen Betriebsrat gründen wollen, schon bei Vorbereitungshandlungen einen verstärkten Schutz vor Entlassungen genießen sollen. Welche Aktivitäten fallen hier bereits darunter?

Lombard: „Unter Vorbereitungshandlungen ist jedes für Dritte erkennbare Verhalten zu verstehen, das zur Vorbereitung einer Betriebsratswahl geeignet ist. Darunter fallen z.B. schon die Kontaktaufnahme zu einer Gewerkschaft, um Informationen zur Betriebsratswahl zu erhalten oder Gespräche mit anderen Arbeitnehmern, um die Unterstützung für eine Betriebsratsgründung zu ermitteln oder um Schritte zu planen, die für die Durchführung der Betriebsratswahl relevant sein können.“

DB: Birgt der so stark erweiterte Kündigungsschutz denn nicht auch Missbrauchspotenzial?

Lombard: „Zunächst ist anzumerken, dass der besondere Kündigungsschutz weiterhin nicht allumfassend greifen soll. Arbeitnehmer, die erstmals einen Betriebsrat gründen möchten, werden erst ab dem Zeitpunkt für drei Monate geschützt, nachdem sie eine öffentlich beglaubigte Erklärung mit dem Inhalt abgegeben haben, die die Absicht einen Betriebsrat zu gründen, enthält.

Der besondere Kündigungsschutz wird jedoch trotzdem dazu führen, dass Arbeitnehmer zunehmend Initiativen ergreifen werden, um einen Betriebsrat zu gründen.

Diese Gründungsaktivitäten beobachten wir vielfach vor anstehenden Restrukturierungen. Die Arbeitnehmer versuchen gerne „noch schnell“ einen Betriebsrat zu gründen, um vielfach ihren eigenen Kündigungsschutz zu erweitern. Wenn durch die Gesetzesänderung der besondere Kündigungsschutz schon im Rahmen der Vorbereitungshandlungen greift, werden auch vermehrt Gründungsversuche aufgrund eigennütziger Motivation verfolgt werden. Die altruistischen Motive zur Betriebsratsgründung können so leicht in den Hintergrund geraten.“

DB: Weiter wird ein vereinfachtes Wahlverfahren anvisiert. Wozu wird das führen?

Lombard: „Das sogenannte vereinfachte Wahlverfahren für kleine Betriebe soll zukünftig bis zu einer Größe von 200 statt bisher 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern möglich sein und für eine Betriebsgröße von bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern das vereinfachte Wahlverfahren zwingend gelten. Dies bedeutet, dass kürzere Fristen für das Wahlverfahren Anwendung finden und die Wahl nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl statt der Verhältniswahl stattfindet. Ebenso soll es in Betrieben mit bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern keine Stützunterschriften für die Unterzeichnung von Wahlvorschlägen mehr geben.

Der erweiterte Anwendungsbereich des vereinfachten Verfahrens kann zwar die Bildung eines Betriebsrats vereinfachen. Kann aber ebenso dazu führen, dass nicht ernstgemeinte Bewerbungen erfolgen und der Versuch der Gründung nur aufgrund von Individualinteressen initiiert wird.“

DB: Als umstritten gilt die Einführung eines externen Sachverständigen für Künstliche Intelligenz. Wann müsste denn ein solcher KI-Sachverständige hinzugezogen werden?

Lombard: „Die Hinzuziehung eines Sachverständigen steht grundsätzlich weiterhin unter dem Vorbehalt der Vereinbarung zwischen den Betriebsparteien.

Im Hinblick auf das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG (Einführung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen) soll die Hinzuziehung eines Sachverständigen für Informations- und Kommunikationstechnik als erforderlich gelten.

Unter das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG fällt auch die künstliche Intelligenz, wenn diese dazu bestimmt ist, dass Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Künstliche Intelligenz (KI) ist als ein Oberbegriff für Roboter oder Digitalanwendungen, die intelligent und daher fast wie Menschen agieren können, zu verstehen. So kann ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dann bestehen, wenn es zu Weisungsstrukturen kommt, in denen der Computer zum „Vorgesetzten“ wird und der Computer zum Beispiel das Arbeitstempo bestimmen kann.

Da es weiterhin für die Hinzuziehung des Sachverständigen einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nach § 80 Abs. 3 S. 1 BetrVG bedarf, entfällt lediglich die Erforderlichkeitsprüfung, wenn eine Vereinbarung über die Hinzuziehung eines Sachverständigen im Bereich für Informations- und Kommunikationstechnik seitens des Betriebsrats angestrebt wird.

Ferner soll es den Betriebsparteien mit der neuen Regelung  offen stehen, eine Vereinbarung zu treffen, die es dem Betriebsrat ermöglicht, in Angelegenheiten des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG jederzeit auf einen IT-Sachverständigen zugreifen zu können. Bei der Bestellung dieses ständigen Sachverständigen soll auch die Fiktionswirkung der Erforderlichkeit greifen.

Die schnelle Reaktion des Betriebsrats soll auf diese Weise gefördert werden und so eine schnelle und fachlich überzeugende Entscheidungsfindung möglich sein.“

DB: Ihre Einschätzung: Müssen sich Arbeitgeber jetzt warm anziehen und mit mehr Bürokratie und weniger Freiheit rechnen oder wird das Gesetz doch nur ein Papiertiger?

Lombard: „Die dauerhafte Regelungen hinsichtlich der Durchführung von Betriebsratssitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz und auch der vereinfachte Einsatz von Sachverständigen zu Fragen der Information- und Kommunikationstechnik erscheinen vor dem Hintergrund fortschreitender Digitalisierung und der anhaltenden Pandemie folgerichtig. Zu berücksichtigten ist jedoch, dass die Regelungsvorhaben zu erheblichen Kostenaufwänden auf Arbeitgeberseite führen werden.

Die Einführung des Mitbestimmungsrechts in Bezug auf die Ausgestaltung mobiler Arbeit ist jedoch unwahrscheinlich, da in der Praxis der Betriebsrat bei der Einführung von mobiler Arbeit schon aufgrund der bestehenden Mitbestimmungsrechte regelmäßig miteinbezogen wird.

Die Hemmschwelle zur Initiierung von Betriebsratswahlen würde mit dem Gesetz erheblich gesenkt werden. Ob aufgrund der Verschärfung des Kündigungsschutzes und der Herabsetzung der Schwellen für die Anwendbarkeit des vereinfachten Wahlverfahrens die Gründungbestrebungen von Betriebsräten tatsächlich zunehmen werden bleibt abzuwarten, denn die Behinderung von Betriebsratswahlen ist bereits derzeit gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG strafbar.“

DB: Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.


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