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28.12.2018

Interview

Kundenanlagen: Wenn die Strominfrastruktur zur Haftungsfalle wird

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Der Betrieb

Mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes 2011 sind Unternehmen mit betrieblichen Energieversorgungsnetzen in den Fokus der Regulierung gerückt. Zudem werfen neue Urteile mehr Fragen auf, als sie beantworten. Die Einordnung, ob die Infrastruktur eine Kundenanlage oder ein Energienetz ist, hat dabei weitreichende Folgen bis hin zu Haftungsrisiken. Welche rechtlichen Fallstricke es gibt, erklärt Dr. Florian-Alexander Wesche, Partner bei Deloitte Legal Düsseldorf und Experte im deutschen und europäischen Energiewirtschaftsrecht.

DB: Herr Dr. Wesche, woher kommt denn die große Rechtsunsicherheit darüber, welche Infrastrukturen unter die Kategorie der Kundenanlage fallen und welche nicht?

Dr. Wesche: „Es gibt gleich zwei Gründe dafür: Einen systematischen und einen aktuellen Grund. Systematisch ist das Energiewirtschaftsgesetz so angelegt, dass die Unternehmen selbst beurteilen müssen, ob sie eine Kundenanlage betreiben. Es gibt hierfür keine Genehmigung oder behördliche Bestätigung. Dies kreiert natürlich eine gewisse Unsicherheit bei den Unternehmen, ob sie mit ihrer Einschätzung richtig liegen.

Die Diskussion, wann (noch) eine Kundenanlage vorliegt und wann die Infrastruktur ein Netz ist, ist im Jahre 2018 zudem aufgrund der ersten Gerichtsurteile zu diesen Fragen höchst aktuell. Da zwei Oberlandesgerichte nun die Annahme einer Kundenanlage in den Streitfällen abgelehnt haben, entsteht naturgemäß Unsicherheit.“

DB: Wieso ist die Abgrenzung von der Kundenanlage zum Energieversorgungsnetz aus juristischer Sicht überhaupt so wichtig?

Dr. Wesche: „Die Energiewirtschaft ist eine regulierte Branche. Regulierungsgegenstand ist im Wesentlichen der Netzbetrieb. Da die Kundenanlage eine ‚Verbrauchsanlage‘ und gerade keine Netz ist, ist hier die Regulierungsintensität deutlich geringer.

Solange ein Unternehmen eine Kundenanlage betreibt, muss es daher vor allem nicht die strengen regulatorischen Anforderungen an Netzbetreiber erfüllen. Netzbetreiber benötigen eine Betriebsgenehmigung, müssen der zuständigen Regulierungsbehörde ihre Entgelte für die Nutzung der Infrastruktur vorlegen oder sich gegebenenfalls sogar eine Erlösobergrenze genehmigen lassen.

Vor allem aber müssen sie sich buchhalterisch entflechten, d.h. getrennt Konten für den Netzbetrieb führen, so als ob sie eine eigenständige Netzgesellschaft hätten – eine anspruchsvolle Anforderung, die die Jahresabschlussprüfer prüfen müssen.“

DB: Wie kann ein Unternehmen die rechtliche Natur seiner Anlage denn korrekt bestimmen?

Dr. Wesche: „Dies geht im Grunde nur bei der individuellen Betrachtung der für den Begriff der Kundenanlage relevanten energiewirtschaftlichen Voraussetzungen für jeden Standort – stets unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung. Es ist also eine energiewirtschaftlich-juristische Analyse notwendig.“

DB: Was geschieht, wenn die Entscheidung zur Einordnung nicht korrekt getroffen wurde? Wie und von wem wird diese überprüft?

Dr. Wesche: „Die Bundesnetzagentur oder die Landesregulierungsbehörden können den Status der Kundenanlage prüfen und insoweit auch Entscheidungen treffen. Dies kann auch auf Veranlassung eines vorgelagerten Netzbetreibers geschehen – was in der Praxis am häufigsten ist, da der Netzbetreiber prüfen muss, ob er eine Kundenanlage (=Verbraucher) oder ein Netz als angeschlossenen Netzkunden hat. Es können aber auch Dritte Verbraucher, die in einer Kundenanlage mit Strom oder Gas versorgt werden, eine Überprüfung anregen.“

DB: Und mit welchen Folgen muss ein Unternehmen rechnen, wenn erwiesenermaßen keine Kundenanlage vorliegt?

Dr. Wesche: „Dies bedeutet, dass das Unternehmen ein Netz ohne Genehmigung betreibt und somit eine Ordnungswidrigkeit begangen hat. Damit kann ein Bußgeld anfallen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie mit den vergangenen Jahresabschlüssen umzugehen ist, da keine buchhalterische Entflechtung vorgenommen wurde.

Insofern muss das Unternehmen unverzüglich die erforderlichen Genehmigungen einholen, z.B. auch einen Antrag auf Betrieb eines geschlossenen Verteilnetzes stellen. In der Folge müssen sämtliche Verträge mit versorgten Kunden umgestellt werden.“

DB: Das klingt nach immensem Aufwand. Was raten Sie Unternehmen, die jetzt Zweifel am Vorliegen einer Kundenanlage haben?

Dr. Wesche: „Jedes Unternehmen, das Zweifel über den eigenen Status hegt aufgrund der von den Gerichten definierten Voraussetzungen oder aber auch aufgrund veränderter Verhältnisse in der Kundenanlage selbst, z.B. veränderte Verbrauchsstrukturen, andere Anzahl an Drittkunden, die in der Kundenanlage angeschlossen sind, sollte eine fundierte energiewirtschaftlich-juristische Prüfung vornehmen. Nur eine solche Prüfung kann Konsequenzen, wie etwa das Verhängen eines Bußgelds, verhindern und den Unternehmen die Möglichkeit geben, proaktiv die nötigen Schritte zu unternehmen.“

 

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro

 

Zur Person:

Dr. Florian-Alexander Wesche ist seit Januar 2015 als Partner bei Deloitte Legal tätig und berät die Energiewirtschaft, Mandanten aus der energieintensiven Industrie sowie Investoren in allen Fragen des deutschen und europäischen Energiewirtschaftsrechts. Florian Wesche verfügt über umfangreiche Erfahrung im Bereich der Energieregulierung und des Energievertragsrechts. Insbesondere berät er zur deutschen und europäischen Gasnetz- und Speicherregulierung, Aufsicht des Energiehandels sowie der Gestaltung und Anpassung von Energieliefer- sowie Kraftwerksverträgen.

Zusammen mit seinen Kollegen Sandra Neuhaus, Tino Wunderlich und Joachim Kleinhenz berät er im DECC Team (Deloitte Energy Competence Center) von Deloitte Unternehmen in energierechtlichen Fragestellungen. Das DECC Team vereint die Funktionen Audit, Legal, Tax und Cert unter einem Dach und kann somit den Mandanten ein abgestimmtes Beratungsportfolio aus einer Hand bieten.


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