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14.12.2021

Interview

Fachkräftemangel: Stolperfallen mit medizinischen Fachkräften aus dem Ausland

Der Bedarf an stationären und ambulanten Pflegedienstleistungen ist stark gestiegen. Aufgrund des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen suchen Pflegebetriebe verstärkt Fachkräfte aus dem Ausland. Doch hier gibt es vor allem beim Anerkennungsverfahren sowie beim Visumverfahren Stolpersteine, die Pflegebetriebe kennen sollten. Sonja Hoffmeister, Fachanwältin für Migrationsrecht bei Deloitte Legal, gibt Tipps.

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Sonja Hoffmeister

DB: Was macht die Antragstellungen für Fachkräfte so kompliziert, Frau Hoffmeister?

Hoffmeister: Zunächst gibt es große bürokratische Hürden. Es werden bis zu vier verschiedene Behörden beteiligt: Die Bundesagentur für Arbeit, die Deutsche Botschaft, die Ausländerbehörde und die Anerkennungsstelle. Sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer werden in das Verfahren involviert. Zudem gibt es noch Unterschiede beim Anerkennungsverfahren zwischen den einzelnen Bundesländern.

DB: Im Anerkennungsverfahren geht es darum, im Ausland erworbene Berufsqualifikation anerkennen zu lassen. Wo gibt es in der Praxis die größten Schwierigkeiten?

Hoffmeister: Für das Anerkennungsverfahren werden sehr viele Nachweise gefordert. In Ländern, in denen das duale Ausbildungssystem nicht existiert oder in denen die Ausstellung von Arbeitszeugnissen nicht üblich ist, werden die Antragsteller also vor besondere Herausforderungen gestellt. Im Gegensatz zur Vergleichbarkeit von ausländischen Hochschulabschlüssen, die mithilfe der Datenbank ANABIN bzw. der individuellen Zeugnisprüfung bei der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) erreicht werden kann, begegnet die Anerkennung ausländischer Berufsausbildungen sehr großen Hürden. In den einzelnen Drittstaaten bestehen bestenfalls sehr unterschiedliche Ausbildungssysteme – im ungünstigsten Fall gibt es gar kein Berufsausbildungssystem, welches mit dem deutschen dualen Ausbildungslehrwesen annähernd vergleichbar ist. Im Anerkennungsverfahren prüft die zuständige Stelle die Gleichwertigkeit der ausländischen Berufsqualifikation, indem sie die ausländische Ausbildung mit der eines deutschen Referenzberufs vergleicht. Divergiert das Ausbildungssystem sehr stark vom deutschen Referenzberuf, hat die antragstellende Person Schwierigkeiten nachzuweisen, dass die absolvierte Ausbildung vergleichbar mit dem deutschen Referenzberuf ist.

Aber auch die Zustimmungsanfragen bei der Bundesagentur für Arbeit bergen Tücken. Es ist aus den Formularen und Merkblättern nicht eindeutig ersichtlich welche Anfragen gestellt werden müssen. Es gibt Konstellationen, bei welchen drei Anfragen gestellt und die Geeignetheit der Maßnahme festgestellt werden müssen. Wenn das Fehlen von Zustimmungen der Bundesagentur für Arbeit erst nach der Ablehnung des Visums auffällt, wurde wertvolle Zeit und unnötigerweise viele Nerven verloren.

DB: Welche Hürden gibt es im anschließenden Visumsverfahren?

Hoffmeister: In manchen Botschaften gibt es zeitweise keine Visumstermine oder sehr lange Wartezeiten. Die langen Bearbeitungszeiten der Botschaften und nun zusätzlich die zum Teil geschlossenen Goetheinstitute stellen die antragstellenden Personen vor besondere Herausforderungen. Solange die antragstellende Person nicht mithilfe eines anerkannten Deutschtests ein Zertifikat vorlegen kann, weil einige Goetheinstitute aufgrund der Pandemie geschlossen haben, droht der Visumsantrag wegen des fehlenden Nachweises der deutschen Sprache abgelehnt zu werden.

Das beschleunigte Fachkräfteverfahren, welches einen Visumstermin bei der Botschaft innerhalb von drei Wochen bewirken soll, hängt leider von der Leistungsfähigkeit der jeweiligen Ausländerbehörde ab. Für das beschleunigte Fachkräfteverfahren muss nämlich der Arbeitgeber und die zuständige Ausländerbehörde eine Vereinbarung schließen, d.h. ohne Mitwirkung der Ausländerbehörde kann keine Beschleunigung bei der Deutschen Botschaft erreicht werden. Ist nun eine Ausländerbehörde zuständig, die allgemein sehr schlecht erreichbar ist oder die sehr lange Bearbeitungszeiten vorweist, führt auch das beschleunigte Fachkräfteverfahren nicht zum gewünschten Ziel. Bei denjenigen Ausländerbehörden, die gut erreichbar sind, kann das beschleunigte Fachkräfteverfahren jedoch tatsächlich zu einer Beschleunigung des Verfahrens führen.

DB: Welche Unterlagen werden denn überhaupt benötigt?

Hoffmeister: Kurz gesagt: Der Teilanerkennungsbescheid, ausgestellt von der zuständigen deutschen Landesbehörde, in dem Angaben dazu gemacht werden, welche Defizite bestehen und ob diese Defizite mit einem Anpassungslehrgang oder einer Kenntnisprüfung auszugleichen sind, ggf. die Anmeldung zur Qualifizierungsmaßnahme (bei überwiegend betrieblichen Maßnahmen: Weiterbildungsplan), ein Nachweis von Deutschkenntnissen einer ALTE-zertifizierten Sprachschule, der Nachweis der Lebensunterhaltssicherung oder der entsprechende Arbeitsvertrag z.B. als Pflegehilfskraft während der Anpassungsmaßnahme oder dem Vorbereitungskurs sowie ggf. die Zustimmung Bundesagentur für Arbeit. Und wie bei allen anderen Aufenthaltstiteln auch Antragsformular, Reisepass, Krankenversicherung und Unterkunftsnachweis.

DB: Gibt es einen Weg, wie fehlende Nachweise leichter erbracht werden können?

Hoffmeister: Grundsätzlich ist es nicht möglich, weniger Nachweise als gefordert einzureichen. Lediglich beim Sprachnachweis ist es gelegentlich möglich, nicht das von der Botschaft geforderte Sprachniveau nachzuweisen, sondern ein geringes. Gemäß § 16d AufenthG soll die ausländische Person über der Qualifizierungsmaßnahme entsprechende deutsche Sprachkenntnisse verfügen, d.h. in der Regel mindestens hinreichend deutsche Sprachkenntnisse (Niveau A 2 GER).

Jedoch ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass niedrigere Sprachkenntnisse zum Beispiel ausreichend sein können, wenn der weitere Spracherwerb Bestandteil der geplanten Maßnahmen ist. Die Mindestvoraussetzungen, die der Bildungsanbieter der geplanten Maßnahme voraussetzt, sind maßgeblich. Einige Botschaften fordern damit höhere Sprachkenntnisse als eigentlich vorgeschrieben. In der Praxis hat es sich bewährt, die jeweilige Botschaft auf das Gesetz und die Gesetzesbegründung hinzuweisen.

DB: Kann man die Pflegekräfte nicht schon während des Anerkennungsverfahrens beschäftigen?

Hoffmeister: Ja, es gibt tatsächlich zwei Möglichkeiten, die zukünftigen Pflegekräfte während des Anerkennungsverfahrens zu beschäftigen. Gemäß § 16d Abs. 1 AufenthG können Pflegekräfte während des Anerkennungsverfahrens bis zu zehn Stunden je Woche in einer von der Qualifizierungsmaßnahme unabhängigen Beschäftigung arbeiten.

Bei der zweiten Möglichkeit können antragstellende Personen gemäß § 16d Abs. 2 AufenthG unter bestimmten Voraussetzungen während des Anerkennungsverfahrens ohne zeitliche Beschränkung (Zeitarbeitsgesetz beachten!) eine Beschäftigung ausüben, wenn die Tätigkeit im Zusammenhang mit dem erlernten Beruf steht. Die Beschäftigung darf den Erfolg der Qualifizierungsmaßnahme nicht gefährden und der Arbeitgeber muss ein verbindliches Arbeitsplatzangebot für die Zeit nach Erlangung der vollständigen Anerkennung vorlegen.

DB: Welche Aspekte müssen Arbeitgeber bei der Integration ausländischer Pflegekräfte ebenfalls im Auge behalten?

Hoffmeister: Es muss darauf geachtet werden, dass die zukünftigen Pflegekräfte ausreichend Zeit für ihre Qualifizierungsmaßnahme haben. Das können Vorbereitungskurse für die Kenntnisprüfung, Sprachkurse oder Anpassungslehrgänge bzw. praktische Anpassungsmaßnahmen sein. Weiterhin sollte darauf geachtet werden, dass die zukünftigen Pflegekräfte Anschluss im Team finden und in das Arbeits- und Sozialleben integriert werden.

Für die Pflegekräfte aus dem Ausland können die deutsche Sprache, die neuen Aufgaben im Berufsalltag und die anderen Werte- und Umgangsformen eine große Herausforderung darstellen. Eine im Betrieb gelebte Willkommenskultur kann den internationalen Pflegekräften helfen diese Herausforderungen zu meistern.

DB: Ihr Rat: Was sollten Pflegebetriebe vor den Antragstellungen alles beachten, um typische Stolperfallen zu vermeiden?

Hoffmeister: Erstens sollte im Vorfeld genau geprüft werden, ob der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin alle Nachweise hat oder unproblematisch besorgen kann, z. B. Arbeitszeugnisse. Wir schauen uns immer vor der Antragsstellung die Unterlagen der antragstellenden Person an und geben eine Einschätzung, durch welche Unterlagen die Vergleichbarkeit nachgewiesen werden kann, um unnötige Zeit und Kosten zu vermeiden. Zweitens sollte darauf geachtet werden, dass wenn die antragstellende Person vor der erstmaligen Erteilung des § 18a AufenthG (Aufenthaltserlaubnis für die Zeit nach der Anerkennung als Pflegfachkraft) das 45. Lebensjahr vollendet hat, das Gehalt  mindestens 55 % der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung betragen muss (2021: Mindestbruttogehalt i.H.v. jährlich 46.860 Euro) oder der Nachweis über eine angemessene Altersvorsorge erbracht werden muss.  Drittens sollte genau geprüft werden, welche Zustimmungen bei der Bundesagentur für Arbeit angefragt werden müssen, um nicht unnötig Zeit zu verlieren. Und schließlich sollte sich ein Arbeitgeber lieber rechtzeitig beraten lassen und sich rechtzeitig Hilfe holen – nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.

DB: Vielen Dank für das Interview und die hilfreichen Ratschläge!


Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.

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