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08.10.2021

Interview

„Das Zinsurteil bleibt hinter den Erwartungen zurück“

Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelungen für die Vollverzinsung von Steueransprüchen ab 2014 in ihrer Höhe von 6 % pro Jahr im Hinblick auf die Niedrigzinsphase für verfassungswidrig erklärt. Einen Blick auf die Auswirkungen des Urteils werfen wir mit Prof. Dr. Burkhard Binnewies, Honorarprofessor an der Eberhard Karls Universität Tübingen, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht in Köln.

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Der Betrieb

DB: Herr Professor Binnewies, das Urteil hat ja besonders bei Unternehmen große Freue ausgelöst. Wie kommt es zu dieser Reaktion?

Binnewies: Die Freude der Steuerpflichtigen liegt darin begründet, dass für Zinszeiträume seit dem Jahr 2019 die Zinslast auf nachveranlagte Steuern – also Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer – sinken wird. Das Bundesverfassungsgericht hat ausschließlich bezüglich der Vollverzinsung nach § 233a AO für die genannten Steuerarten entschieden. Die Verzinsung der Nachveranlagung dieser Steuern i.H.v. 0,5 % pro Monat wurde für Zinszeiträume ab dem Jahr 2014 für verfassungswidrig erklärt.

Die praktische Wirkung des Urteils ist allerdings geringer. Für die Verzinsungszeiträume von 2014 bis einschließlich 2018 hat das Gericht eine sog. „Weitergeltungsanordnung“ getroffen. Zwar ist das Gesetz ab 2014 verfassungswidrig, kann aber für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 weiter angewandt werden. Für die Verzinsungszeiträume ab 2019 ist hingegen eine „Unvereinbarkeitsfeststellung“ ergangen, sodass der Gesetzgeber verpflichtet ist, eine gesetzliche Neuregelung zu schaffen. Diese Neuregelung muss nach der Anordnung des Bundesverfassungsgerichts bis zum 31.07.2022 vorliegen.

DB: Wie könnte diese Neuregelung denn aussehen?

Binnewies: Die Neuregelung kann sowohl einen (geringeren) Festzinssatz als auch einen variablen Zinssatz vorsehen. Insoweit wurden durch das Bundesverfassungsgericht keine Vorgaben gemacht. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass die Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes iHv. 0,5 % pro Monat nicht für Stundungszinsen, Hinterziehungszinsen sowie Aussetzungszinsen gilt. Insoweit geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass diese Zinstatbestände durch das Verhalten der Steuerpflichtigen ausgelöst werden. Die Steuerpflichtigen selbst haben es in der Hand, diese Zinstatbestände auszulösen oder zu vermeiden. Daher darf das Gesetz insoweit im Hinblick auf die Niedrigzinsphase einen überhöhten Zinssatz festschreiben.

DB: Schauen wir nochmals kurz auf den Streitfall: um welche Summen ging es?

Binnewies: In den beiden vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Verfahren handelte es sich um Zinsen auf die Gewerbesteuer. Bei den Gewerbetreibenden ging es um eine Zinslast i.H.v. ca. 120.000 bzw. ca. 200.000 Euro.

DB: Wie bekommen Betroffene denn nun ihr Geld zurück?

Binnewies: Die konkrete Umsetzung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hängt von der jeweiligen verfahrensrechtlichen Situation ab:

Sind Nachzahlungszinsen auch für Zinszeiträume nach dem 01.01.2019 bestandskräftig veranlagt, erhalten die steuerpflichtigen kein Geld zurück. Die Bestandskraft von Zinsfestsetzungen setzt sich gegenüber den Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts durch. Es besteht allerdings die Möglichkeit, sich auf das Vollstreckungsverbot aus § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfG zu berufen, wenn die Zinsen noch nicht bezahlt wurden.

Haben die Steuerpflichtigen Zinsen für Zinszeiträume ab dem 01.01.2019 bereits gezahlt, profitieren Sie von den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts also nur, wenn die Zinsfestsetzungen nicht bestandskräftig sind. Die Zinsfestsetzungen müssen also mit dem Einspruch bzw. der Klage angefochten oder seitens der Finanzverwaltung vorläufig festgesetzt sein. Sobald die gesetzliche Neuregelung da ist, werden diese Zinsfestsetzungen angepasst und ein Zinsüberhang von der Finanzverwaltung erstattet. Wer sich kurzfristig Liquiditätsvorteile sichern will, kann für Zinsen der Zinszeiträume ab Januar 2019 über einen Antrag nach § 165 Abs. 1 Satz 4 AO nachdenken. Das Gesetz spricht von der Möglichkeit „Aussetzung“ der Festsetzung. ME muss auch ein Antrag auf Aufhebung der Vollziehung möglich sein, welcher zur Erstattung führen würde. Bis zur Neuregelung muss das Finanzamt dem nachkommen.

Der Regelfall wird sein, dass Zinsfestsetzungen mit Verzinsungszeiträumen, die auch Verzinsungszeiträume ab dem Januar 2019 beinhalten von der Vollziehung ausgesetzt wurden. Die Steuerpflichtigen haben die verfassungswidrig festgesetzten Zinsen also noch nicht bezahlt. Zu einer Zahlung von Zinsen für Zinszeiträume ab Januar 2019 kommt es dann erst und nur aufgrund der gesetzlichen Neuregelung, die bis zum 31.07.2022 zu erlassen ist. Die Zinsfestsetzung wird dann deutlich niedriger sein.

DB: Ist der Umkehrschluss aus dem Urteil, dass Steuerzahler, die sich über eine Steuererstattung mit üppiger Verzinsung gefreut haben, bald etwas zurückzahlen müssen?

Binnewies: Aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich in der Tat, dass auch Erstattungszinsen (§ 233a AO i.V.m. § 238 AO) für Verzinsungszeiträume ab Januar 2019 für verfassungswidrig erklärt wurden. Sofern der Festsetzungsbescheid erlassen und Zinsen seitens der Finanzverwaltung gezahlt wurden, dürfte es gleichwohl nicht zur Rückzahlung seitens der Steuerpflichtigen kommen. Zugunsten der Steuerpflichtigen gilt die Vertrauensschutzregelung aus § 176 Abs. 1 Nr. 1 AO. Das gilt selbst dann, wenn die Festsetzung der Erstattung mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen wurde. Die Steuerpflichtigen müssen also nichts zurückzahlen.

DB: Das Urteil bedeutet nun auch Folgen für den Fiskus. Welche sind das?

Binnewies: Die finanziellen Auswirkungen für den Fiskus halten sich bezogen auf die Verfassungswidrigkeit der Nachzahlungszinsen in Grenzen. Es sind lediglich die Verzinsungszeiträume ab Januar 2019 betroffen. Derartige Zinsfestsetzungen wurden in der Praxis in der Regel von der Vollziehung ausgesetzt. Das heißt, dass die Steuerpflichtigen diese Zinsen noch nicht bezahlt haben und entsprechend in den ganz überwiegenden Fällen keine Erstattung durch den Fiskus ansteht.

Ein größerer fiskalischer Effekt kann sich aufgrund der potenziellen Verfassungswidrigkeit weiterer Normen ergeben. Das Finanzgericht Köln hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Berücksichtigung eines Zinssatzes von 6 % bei der Bildung von Pensionsrückstellungen nach § 6a EStG nicht ebenfalls verfassungswidrig ist (Az. BVerfG: 2 BvL 22/17). Die potenzielle Verfassungswidrigkeit derartiger Normen kann deutlich größere finanzielle Folgen für den Fiskus bedeuten.

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezogen auf die Verfassungswidrigkeit von Nachzahlungszinsen hinter den Erwartungen der Steuerpflichtigen zurückbleiben. Zwar ist der Zinssatz von 0,5 % pro Monat seit dem Jahr 2014 für verfassungswidrig erklärt worden, gleichzeitig wurde aber eine weitere Anwendung bis einschließlich 2018 angeordnet. Die Zinshöhe ändert sich also lediglich für Verzinsungszeiträume ab Januar 2019. In welchem Umfang die Entscheidungen auf weitere Steuertatbestände, in denen die Zinshöhe eine Rolle spielt, ausstrahlen werden, bleibt abzuwarten.

DB: Vielen Dank für das Interview!

Zur Person: Herr Prof. Dr. Burkhard Binnewies ist Steueranwalt und Partner der Partnerschaft Streck Mack Schwedhelm. Zudem ist er Honorarprofessor an der Eberhard Karls Universität in Tübingen. Seine Beratungsschwerpunkte sind der Steuerstreit, die Beraterhaftung und die Gestaltungsberatung an der Schnittstelle zwischen Steuerrecht und Gesellschaftsrecht.


Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.

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