01.02.2021

Interview

Crowdworker sind Arbeitnehmer!

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Der Betrieb

Kein Büro, keine festen Arbeitszeiten, selbstbestimmtes Arbeiten: Für die einen ist das Arbeitsmodell des Crowdworkings der Inbegriff von Freiheit und Selbstbestimmtheit, andere warnen vor der Entstehung eines „digitalen Prekariats“. Auch über den arbeitsrechtlichen Status von Crowdworkern wurde lange gestritten. Nun hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass Crowdworker für die Dauer der Vertragsbeziehung mit der Crowdsourcing-Plattform als Arbeitnehmer zu qualifizieren sind. Wir haben beim Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Christoph Kurzböck, Rödl & Partner, nachgefragt.

DB: Wie bewerten Sie das Urteil?

Kurzböck: Das Urteil überraschte, da die Vorinstanzen und auch andere Landgerichte bisher in eine völlig andere Richtung entschieden und deren Argumentation mit der Rechtslage auch gut in Einklang zu bringen war.

Das Urteil des BAG als allgemeine Richtschnur zu sehen wäre jedoch voreilig. Das BAG hat die Arbeitnehmereigenschaft des betroffenen Crowdworkers wesentlich mit dem im zu entscheidenden Fall von der Plattform genutzten Anreizsystem begründet. Durch das eingesetzte Bewertungs- und Anreizsystem konnten die Crowdworker kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen. Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level im Bewertungssystem ermöglichte es ihnen, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Dieses Anreizsystem hätte die Crowdworker nach Ansicht des BAG dazu veranlasst, in dem Bezirk ihres gewöhnlichen Aufenthaltsorts kontinuierlich Tätigkeiten für die Plattform zu erledigen. Diesen Umstand zieht das BAG als Begründung dafür heran, dass die Online-Plattform die Zusammenarbeit generell so steuere, dass der Crowdworker infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt gerade nicht frei gestalten könne. Gerade dieses Abgrenzungskriterium entschied über die Arbeitnehmereigenschaft des Crowdworkers. Solche Anreizsysteme mit den aufgezeigten Folgen setzt jedoch möglicherweise nicht jede Plattform ein, sodass es in anders gelagerten Fällen zu einer abweichenden Entscheidung kommen kann bzw. Plattformen noch die Möglichkeit haben, ihre Organisation gegebenenfalls anzupassen. Das Urteil des BAG muss also nicht zwangsläufig das Ende des Geschäftsmodells „Crowdworking“ bedeuten.

DB: Jeder Selbstständige hat den Anreiz, möglichst viele Aufträge anzunehmen, um möglichst viel Geld zu verdienen. Dies ist Ausdruck des unternehmerischen Risikos. Bei Crowdworkern hingegen, so das BAG, führe der Druck zur ständigen Angebotsannahme zu einer unselbständigen Tätigkeit des Betreffenden. Woher kommt dieser Unterschied?

Kurzböck: Generell ist für die Frage des Bestehens eines unternehmerischen Risikos auf die Verhältnisse innerhalb des jeweiligen einzelnen Auftrags abzustellen, nicht auf die Masse der Aufträge. Trägt der Auftragnehmer hier das Ausfallrisiko, insbesondere hinsichtlich eigener getätigter Investitionen, so liegt ein unternehmerisches Risiko grundsätzlich vor. Zu beachten ist aber, dass es sich in dem dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt um „einfache“ Tätigkeiten des betroffenen Crowdworkers handelte. Diese Tätigkeiten bürgten wenig bis gar kein Verlustrisiko auf der Seite des Crowdworkers, sodass dem Kriterium des unternehmerischen Risikos bei solchen einfachen Tätigkeiten nur wenig Gewicht beizumessen ist und andere Kriterien wesentlich über die Arbeitnehmereigenschaft entscheiden. So führte in dem vom BAG entschiedenen Fall die Masse an anzunehmenden Aufgaben bei immer demselben Auftraggeber viel mehr zu einer Fremdbestimmtheit der Auftragsannahme.  Die Abgrenzung ist immer anhand einer Gesamtbetrachtung aller Kriterien vorzunehmen.

DB: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat angekündigt, die Plattformarbeit stärker regulieren zu wollen. Wie bewerten Sie diese Vorhaben?

Kurzböck: Richtig. Das BMAS hat konkrete Maßnahmen in Aussicht gestellt, die ergriffen werden sollen, um Plattformbeschäftigten den Zugang zu arbeits- und sozialrechtlichen Schutzrechten zu ermöglichen. Beispielsweise sollen solo-selbstständige Plattformtätige in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden und die Plattformen sollen an der Beitragszahlung beteiligt werden. Außerdem soll es Beweislastregelungen zur Erleichterung einer arbeitsgerichtlichen Statusklärung geben und Plattformtätigen soll die Möglichkeit eröffnet werden, sich zu organisieren und gemeinsam grundlegende Bedingungen ihrer Tätigkeit mit den Plattformen auszuhandeln. Es sollen aber auch elementare Schutzregelungen des Arbeitsrechts wie beispielsweise Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Mutterschutz oder Urlaub implementiert werden. Auch bestimmte Vertragspraktiken von Plattformen sollen unterbunden werden, indem beispielsweise Mindestankündigungsfristen festgeschrieben werden. All diese Maßnahmen würden aber die gewollte Agilität, Flexibilität und Souveränität, die diese Plattformtätigkeiten für beide Vertragsparteien bieten, nahezu zu Nichte machen.

DB: Wenn positiv: Was sollte der Gesetzgeber dringend regeln, und warum? Wenn negativ: Warum sollte er das Vorhaben lieber aufgeben?

Kurzböck: Die Vorteile, die Unternehmen derzeit in der Tätigkeitsform des Crowdworking sehen, wären nicht mehr vorhanden. Hinzu käme die Ungewissheit, dass es sich bei den Crowdworkern nicht doch um Arbeitnehmer handelt und ungewünschte Arbeitnehmerrechte dennoch gelten. Die Attraktivität dieser Tätigkeitsformen würde enorm sinken. Wichtig bleibt, dass es sich bei der Abgrenzung von Arbeitnehmern und Selbständigen weiterhin wie auch bisher bei Freelancern um eine Einzelfallentscheidung anhand der bekannten Kriterien handeln muss.

DB: Dass Selbstständige (zum Teil auch gegen ihren Willen) als abhängig Beschäftigte qualifiziert werden, hat in Deutschland inzwischen Tradition. Was müsste geschehen, um für alle Beteiligten wieder mehr Rechtssicherheit zu schaffen?

Kurzböck: Am Ende kommt es immer auf eine Gesamtbetrachtung vieler einzelner Kriterien an. Da nicht mehr nur die typischen „nine to five“ Berufe im Büro existieren und wir uns in einem Wandel der Bedürfnisse sowohl seitens Unternehmen als auch seitens Auftrag- oder Arbeitnehmern befinden, müsste die Auslegung der Kriterien an die modernen Arbeitsformen angepasst werden. An vielen Punkten stimmt die gelebte Auslegung nicht mehr mit den derzeitigen Wünschennach Flexibilität, Agilität und Souveränität überein.

Vielen Dank für das Interview, Herr Kurzböck!

Das Interview führte Claus Dettki, DER BETRIEB.


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