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30.01.2020

Interview

Banking without banks: Wird Libra unser Währungssystem revolutionieren?

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Der Betrieb

Das Soziale Netzwerk Facebook plant eine eigene digitale Währung: Libra. Ob es sie am Ende tatsächlich geben wird, steht noch in den Sternen. Dennoch lohnt sich genaueres Hinsehen, denn wenn Libra kommt, könnte dies eine nicht nur für die digitale Ökonomie disruptive Innovation bedeuten. Über Chancen und Risiken der neuen Digitalwährung diskutierten wir mit Dr. Osman Sacarcelik, Mitarbeiter der Praxisgruppe Bankaufsichtsrecht bei Deloitte Legal in Frankfurt und Experte für Kryptowährungen und Tokenization.

DB: Facebooks Ankündigung, ein neues Währungssystem namens Libra zu schaffen, hat für mächtig Aufsehen gesorgt – sogar bei Notenbanken, Regulierern und Politikern. Wieso eigentlich?

Sacarcelik: „Das Libra-Projekt hat aus mehreren Gründen – zu Recht – für Aufsehen gesorgt: Zum ersten Mal wurde ein Kryptoprojekt nicht etwa von einem unbekannten Startup initiiert, sondern von einem ökonomischen Schwergewicht: Facebook. Zahlreiche ernstzunehmende Unternehmen wie Vodafone, Uber und Spotify haben sich dem Projekt angeschlossen. Auch wenn einige wichtige Player, wie etwa Visa und Paypal, das Projekt wieder verlassen haben, noch bevor es erst richtig losging, hat das ‚Konsortium‘ weiterhin erhebliche Marktmacht und kann weltweit Milliarden von Nutzern erreichen. Außerdem verfügen die beteiligten Unternehmen über erhebliche digitale Skalierungssysteme und im Ergebnis über das Potenzial, auf der Grundlage bestehender Infrastrukturen ein transformatives globales digitales Zahlungssystem zu schaffen.

Um es neudeutsch auf den Punkt zu bringen: Libra has the power to truly disrupt. Aber nicht nur die immense Dimension des potenziellen Nutzerkreises, sondern vor allem das der neuen virtuellen Währung zu Grunde liegende Konzept hat Notenbanken und Aufsichtsbehörden auf den Plan gerufen. Und dies nicht ohne Grund: Die Libra-Coins sollen an einen Währungskorb gekoppelt sein, der aus Euro, US-Dollar und weiteren anderen wichtigen Währungen besteht. Außerdem sollen die Coins mit kurzfristigen Staatsanleihen unterlegt sein. Über die virtuelle Währung soll – wie eine Zentralbank – die Libra Reserve wachen. Dies birgt erhebliches ökonomisches und rechtliches Gefahrenpotenzial.“

DB: Das heißt, es könnte ein ungeregelter Währungsmarkt entstehen?

Sacarcelik: „Es handelt sich weniger um einen ungeregelten Währungsmarkt. Denn die bestehenden rechtlichen und regulatorischen Rahmenwerke sind selbstverständlich auch von den Libra-Emittenten zu beachten. Allerdings wird mit Libra insbesondere in währungswirtschaftlicher Hinsicht Neuland betreten. Negative Änderungen des Wechselkursgefüges sind zu befürchten, wenn beispielsweise eine Währung anteilsmäßig stärker im Währungskorb vertreten ist, als sich dies mit ihrer Bedeutung im internationalen Waren- und Dienstleistungshandel begründen ließe.

Die Ausbreitung der Digitalwährung kann zu einem fortschreitenden Ersatz staatlicher Währungen als Zahlungsmittel führen. Mit der ‚Privatisierung‘ des Geldwesens wird auch eines der wichtigsten Säulen des staatlichen Machtmonopols ins Wanken gebracht. Die Geschichte lehrt uns, dass die Konzentration des Geldes in privater Hand nicht nur Lichtseiten kennt. Man denke – nur um ein Beispiel zu nennen – an die einflussreiche Familiendynastie der Medici in Italien, die die europäische Finanzwelt der frühen Neuzeit dominierten und sogar Päpste stellten.

Aber nun zurück zu Libra: Beeinträchtigungen der Finanzstabilität durch Umschichtungen in der Libra Reserve sind ebenfalls nicht auszuschließen. Wird etwa eine Währung aus dem Währungskorb entfernt, kann sie unter Druck geraten. Durch den Ankauf von Staatsanleihen kann die Libra-Reserve an ökonomischem und politischem Einfluss gewinnen. Zwar sichern die Libra-Erfinder zu, dass mit Libra keine illegalen Aktivitäten möglich sein sollen. Ein ungeregelter Währungsmarkt kann sich dennoch Geldwäscher und andere Kriminelle anziehen, die gerade in der Kryptowelt ‚Unterschlupf‘ suchen. Letztlich kann eine Schattenwirtschaft entstehen, die sich staatlicher Kontrolle entzieht.“

DB: Das heißt, eine Regulierung von Libra wird zwingend erforderlich werden?

Sacarcelik: „Zwar gibt es bereits Regulierungsinstrumente, die Risiken eindämmen können, die einer globalen virtuellen Währung wie Libra inhärent sind. Aber ja, gerade die Größe des Libra-Projektes und die mit seiner Umsetzung verbundene potenzielle Marktmacht erfordern nach meinem Dafürhalten weitere spezifische internationale Regulierung. Behelfs- oder Insellösung werden da nicht weiterhelfen.“

DB: Wenn Libra auch noch eine neue Kredit- und Anlageform wird, werden klassische Banken dann nicht völlig obsolet?

Sacarcelik: „Denkt man die potenzielle Disintermediation von Banken im Zahlungswesen – also im Ergebnis deren Verdrängung aus der Wertschöpfungskette – weiter, ist es naheliegend, dass Libra auch in andere Bereiche des Finanzwesens vordringt und versuchen wird, die gesamte Wertschöpfungskette für sich in Anspruch zu nehmen. Bereits heute vergeben Unternehmen vermehrt Kundenkredite direkt und ohne Zwischenschaltung von Banken. Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum und Monero sind – trotz ihrer erheblichen Volatilität – als alternative Anlageklasse nicht mehr wegzudenken. Es gibt auch schon seit einiger Zeit Kryptoderivate und -fonds. Warum also nicht auch Anlageprodukte, die auf Libra basieren?“

DB: Welche weiteren Rechtsfragen könnte das Libra-Projekt – so es denn realisiert wird – aufwerfen?

Sacarcelik: „Es gibt etliche rechtliche Fragen, die sich um Libra ranken. Die Frage nach dem Eigentum zählt hier sicherlich zu den wichtigsten. Wie kann an einem digitalen Wert, der kein Geld und keine Sache im zivilrechtlichen Sinne ist, Eigentum erworben werden? Nach welchen rechtlichen Regeln erfolgt die Übertragung zwischen Millionen von Menschen, die auf der ganzen Welt verteilt sind? Wie kann bei einer von einem privaten Konsortium zur Verfügung gestellten Währung sichergestellt werden, dass Schutzmechanismen, wie wir sie vom klassischen Währungssystem kennen, greifen? Für Staaten und Regierungen stellt sich die Frage nach währungspolitischen Machtverschiebungen und dem richtigen Umgang mit diesen – ebenso wie nach dem Umgang mit der Verfestigung von Marktbeherrschung. Nicht zuletzt werden etliche Fragestellungen aus dem Verbraucher- und Datenschutzrecht zu klären sein, da die Nutzung von Libra zu ‚Transparenz in allen Lebensbereichen‘ führen könnte, die natürlich auch ausgenutzt werden kann.“

DB: Die Liste der Allianz der am Libra-Projekt beteiligen – und durchaus finanzstarken – Unternehmen ist beeindruckend. Gibt uns das auch schon Hinweise auf weitere geplante Anwendungsbereiche?

Sacarcelik: „Die meisten Unternehmen, die sich bisher am Libra-Projekt beteiligt haben, sind Technologieunternehmen, die zugleich zu den wichtigen Playern des digitalen Ökosystems gehören. Aber es wäre ein Irrglaube zu denken, dass Libra nur bei Onlinekäufen zum Einsatz kommen wird oder soll. Sobald genügend Nutzer Libra auf ihren Mobiltelefonen, Smartwatches etc. ‚bei sich tragen‘, wird das digitale Geld sicherlich auch schnell im stationären Handel in Geschäften zum Einsatz kommen.

Die rasante Verbreitung, die zunächst inzwischen nicht mehr neuartige Zahlungssysteme wie PayPal und Klarna und in jüngerer Zeit GooglePay oder ApplePay gefunden haben, zeigt das Potenzial in eindrücklicher Form. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Libra das Zahlungsmittel des Internet of Things wird und so etwa das Auto im Parkhaus automatisch mit Libra zahlt. Eine Realwirtschaft, die auf einer globalen digitalen Währung fußt, mag heute noch utopisch klingen. Blickt man aber etwa nach China, wo Zahlungen weitgehend digital abgewickelt werden, ist eine globale digitale Währung zumindest technologisch schon heute möglich.“

DB: Libra wird also mehr können als nur ein Token. Worin genau liegt der Unterschied zu Bitcoin und Ethereum?

Sacarcelik: „Sowohl klassische Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum als auch Libra bedienen sich grundsätzlich der sogenannten Distributed Ledger Technology. Der große Unterschied bei Libra liegt primär darin, dass Libra an staatliche Währungen gekoppelt und von der Libra Reserve kontrolliert werden soll, um so Wertstabilität zu gewährleisten. Dies mit dem Ziel der Vermeidung der enormen Volatilität, die bislang mit anderen Kryptowährungen einhergeht und der Schaffung von Vertrauen. Daher auch der Begriff ’stable coin‘.

Ein weiterer Unterschied ist, dass die ‚Geldmenge‘ bei ‚klassischen‘ Kryptowährungen – etwa bei Bitcoin – begrenzt ist. Bei Libra ist die Geldschöpfung hingegen jedenfalls theoretisch unbegrenzt möglich. Anders als dezentrale Kryptowährungen, die nicht von einer zentralen Stelle emittiert wurden, wurde Libra auf einer privaten Blockchain von den Libra-Initiatoren entwickelt und soll auch durch ein Libra-Gremium überwacht werden. Zwar beteuern die Erfinder von Libra, dass sie die Coins zu einem späteren Zeitpunkt auf eine öffentliche Blockchain überführen wollen. Wie das gelingen soll, ist aber unklar.“

DB: Ihre persönliche Meinung: Steht gerade die nächste Revolution im Finanzwesen bevor oder wird die Libra-Seifenblase platzen?

Sacarcelik: „Die Idee einer digitalen Weltwährung besticht jedenfalls – und dies nicht nur aus der Sicht Facebooks und seiner Partner. Ob sich Libra tatsächlich zum Thron globaler Währungen aufschwingen wird, bezweifele ich allerdings stark. Dies weniger, weil ich nicht an die potenzielle Marktakzeptanz glaubte. Vielmehr werden Währungshüter über die Zukunft von Libra entscheiden. Dass Marc Zuckerberg vor dem US-Kongress und hochrangige Vertreter der Libra-Association vor dem Finanzausschuss des Bundestages Rede und Antwort stehen mussten, zeigt, dass das Libra-Projekt auch politisch ernst genommen wird.

Denkbar ist auch, dass Staaten durch die Einführung staatlicher Kryptowährungen privaten Initiativen wie Libra zuvorkommen können.  Insoweit scheinen die Zeichen für Libra eher schlecht zu stehen. Allerdings ist das Projekt wohl im Ergebnis nur Vorbote für anstehende und kaum aufzuhaltende große Umwälzungen im Geldwesen. In nicht weit entfernter Zeit werden wir nicht mehr mit Münzen und Geldscheinen zahlen und so Zeugen einer weiteren Revolution werden – davon bin ich fest überzeugt.“

Herr Dr. Sacarcelik – vielen Dank für das spannende Interview!

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro


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