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28.03.2019

Interview

Auswirkungen der Digitalisierung auf Verrechnungspreise

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Der Betrieb

Die immer weiter voranschreitende Digitalisierung stellt auch das Umfeld der Verrechnungspreise vor neue Herausforderungen. Über die zunehmende Komplexität, Risiken und Chancen klärt Verrechnungspreisexperte Michael Freudenberg, Partner, Leiter der Global Transfer Pricing Service Line, Tax bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, auf.

DB: Herr Freudenberg, birgt die Digitalisierung überhaupt ein Risikopotenzial für Verrechnungspreise und deren Dokumentation?

Freudenberg: „Wir befinden uns derzeit in einer Übergangsphase, in der neue Geschäftsmodelle entstehen bzw. bestehende Geschäftsmodelle sich verändern. Dies geht natürlich einher mit einer großen Unsicherheit, sowohl hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Geschäftsmodelle als auch ihrer verrechnungspreisseitigen Würdigung. Diese Unsicherheit betrifft alle Stakeholder und schließt die Finanzverwaltungen explizit mit ein. Die Kombination von sehr limitierten Betriebsprüfungserfahrungen in diesem Bereich und einer noch ungeklärten bzw. nicht ausgereiften Rechtslage birgt natürlich höhere Risiken. Daher wird die Forderung nach effektiveren Streitbeilegungsmechanismen berechtigterweise immer lauter, da das bestehende Instrumentarium nach heutigem Stand für die drohenden Konfliktfälle nicht gewappnet ist.“

DB: Müssen wir mit Veränderungen der traditionellen Verrechnungspreismethoden rechnen?

Freudenberg: „Mit solchen Thesen wäre ich sehr zurückhaltend. Ich persönlich denke nicht, dass die Herausforderung in den zur Verfügung stehenden Verrechnungspreismethoden liegt, sondern in der Wertung der Wertschöpfungsbeiträge einzelner Konzerngesellschaften. Es ist valide anzunehmen, dass die Digitalisierung zu einer Neusortierung von Wertschöpfungsketten führt und mit einer Dezentralisierung der Wertschöpfung einhergehen kann. Dies bedeutet jedoch nicht, dass unser Methodenkoffer keine ausreichenden Lösungsmöglichkeiten mehr bietet. Wir werden eher eine Verschiebung in der Bedeutung einzelner Methoden wahrnehmen können. In diesem Kontext bereitet mir die jüngste Diskussion auf Ebene der OECD zur Vergütung lokaler Marketing Intangibles mehr Sorgen, da diese das Konzept des aktuell gelebten Fremdvergleichs aushebeln würde.“

DB: Was geschieht mit den klassischen Standardmethoden?

Freudenberg: „Die klassischen Standardmethoden haben nicht ausgedient. Sicherlich werden wir es in den nächsten Jahren schwer damit haben, für die Anwendung der Preisvergleichsmethode in der Breite hinreichend belastbare Vergleichstransaktionen zu ermitteln. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein exklusives Problem digitaler Geschäftsmodelle, da die Hürden für den Nachweis der Vergleichbarkeit prinzipiell sehr hoch sind. Das erklärt auch die geringe praktische Bedeutung dieser Methodik. Die weiteren Standardmethoden werden bereits heute i. d. R. in Kombination mit der transaktionsbezogenen Gewinnaufteilungsmethode verwendet.“

DB: Wie sieht die Zukunft der transaktionsbezogenen Gewinnaufteilungsmethode aus?

Freudenberg: „Die transaktionsbezogene Gewinnaufteilungsmethode beruht auf dem Prinzip, Kennzahlen der in einer Transaktion jeweils funktionsschwächeren Einheit bzw. nach deutschen Maßstäben der Routineeinheit mittels Datenbankstudie zu verproben. Auch, wenn die Digitalisierung zu einer Dezentralisierung von Wertschöpfung führt, stirbt die Routinefunktion, für welche ein Tätigkeitsentgelt zu bestimmen ist, nicht aus. Als Herausforderung könnte noch die derzeit geringe Anzahl an Vergleichsunternehmen in den Datenbanken angeführt werden. Hier dürfen wir jedoch nicht aus den Augen lassen, dass die Verwendung von Datenbankstudien eine internationale Konvention ist und wir bereits heute Branchen haben, für welche es keine oder nur sehr begrenzte Vergleichsdaten gibt. Auch heute bedient man sich hier schon einer Analogie zu anderen Vergleichsunternehmen.“

DB: Verändern sich die Orte der Wertschöpfung durch die Digitalisierung?

Freudenberg: „Dies muss nicht zwangsläufig der Fall sein, wir werden es aber sicherlich in vielen Geschäftsmodellen erleben. Wir können jedoch zwei Fälle unterscheiden: 1) die Neuverteilung von Funktionen und Wirtschaftsgütern und 2) die Erweiterung bestehender Wertschöpfungsketten um neue Funktionen und Wirtschaftsgüter. Ein gutes Beispiel für den ersten Fall ist die  Einführung des 3D-Druckverfahrens. Der Einsatz dieser Technologie geht mit einer Dezentralisierung der Produktion einher und führt ganz klar zu einer räumlichen Verschiebung. Im zweiten Fall kommen neue Aktivitäten hinzu, die prinzipiell auch in anderen Jurisdiktionen als bisher angesiedelt sein können, ohne dass bereits bestehende Aktivitäten verlagert werden müssen. Die Digitalisierung erfordert hier eine Neubewertung der bestehenden Wertschöpfung und zieht eine Neugewichtung der Werttreiber und damit eine Neuverteilung des zu versteuernden Einkommens nach sich.“

DB: Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Gewinnabgrenzung grenzüberschreitend tätiger multinationaler Unternehmen?

Freudenberg: „Mit der aus einer Neubewertung der Wertschöpfungsbeiträge hervorgehenden veränderten Gewichtung der Beiträge einzelner Konzerngesellschaften kann eine Neuverteilung des Steuersubstrats innerhalb des Konzerns einhergehen. Wichtig ist dabei zu beachten, dass es sich hier nicht zwangsläufig um eine durch die Verlagerung von Funktionen und Wirtschaftsgütern induzierte Reallokation handelt, die eine Ausgleichszahlung i. S. des § 1 Abs. 3 AStG erfordert. Es ist vielmehr die Neubewertung der Marktrelevanz einzelner Aktivitäten, aus der sich eine veränderte Zahlungsbereitschaft sowohl der externen Kunden als auch innerhalb des Konzerns ergibt.“

DB: Wie sollten Unternehmen mit der wachsenden Digitalisierung im Bereich der Verrechnungspreise umgehen? Haben Sie Tipps?

Freudenberg: „Die Thematik befindet sich generell im Fluss. Sowohl die OECD als auch die EU beschäftigen sich mit unterschiedlichen Ansätzen zur Sicherstellung einer in ihren Augen fairen Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle. Eine Einigung in diesen Gremien sehe ich aktuell jedoch noch in weiter Ferne.  Steuerpflichtige operieren damit in einem Umfeld hoher regulatorischer Unsicherheit. Wesentlich ist, dass sich der Steuerpflichtige nachvollziehbar für eine Gestaltungs- bzw. Interpretationsvariante entscheidet und diese auch konsequent im Konzern lebt. Die Finanzverwaltung erkennt an, dass wir uns in einem regulatorischen Vakuum bewegen, und akzeptiert erfahrungsgemäß Unschärfen, sofern diese nachvollziehbar durch den Steuerpflichtigen begründet werden und dieser sich durch inkonsistentes Handeln nicht selbst widerspricht. Sobald sich ein gewisses Maß an Klarheit im regulatorischen Umfeld einstellt, wäre dann die eigene Gestaltungsentscheidung noch einmal einer Revision zu unterziehen.“

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.


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